Dieter Nusbaum
Leidenschaft macht es möglich oder über die Möglichkeiten der Malerei
Die Lust an der Vielfalt im Motivischen wie im Stilistischen ist das Unverwechselbare an den Arbeiten Dieter Nusbaums. Fast meint man den vielbeschworenen künstlerischen Schaffensdrang in den kraftvollen malerischen Formulierungen auf der Leinwand zu spüren. „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass eines Tages gute Bilder gemalt werden, wir müssen die Sache selber in die Hand nehmen!" Sigmar Polke und Gerhard Richter gaben bereits in den 60er Jahren diese Parole gemeinsam aus, bei Dieter Nusbaums kann man die selbstbewusste Umsetzung hier und jetzt überprüfen:
Der Künstler greift auf ein umfassendes Repertoire an malerischen Mitteln zurück, die in ihrer Zusammenführung das Gegenüber im besten Fall berauschen. Auch auf der motivischen Ebene öffnet sich ein breites Spektrum. So stehen Allegorien, Portraits und Motive des Alltags gleichwertig nebeneinander. Doch trotz der inhaltlichen Divergenz teilen sich alle Bildthemen einen gemeinsamen Nenner: Sie formulieren sich als Zitat. Reduziert man zunächst die Verwendung des Zitates, was zugegebener Maßen ungerecht ist, auf einen stilistischen Kniff, lässt sich der Blick auf die rein malerische Umsetzung der Arbeiten Dieter Nusbaums konzentrieren.
Zunächst fallen intensive, leuchtende Farben ins Auge. Starke Kontraste bringen Lebendigkeit ins Bild, um auch ruhigen, monochromen Flächen Raum zu lassen. Die Farbe steht am Beginn eines jeden Werkprozesses. Die Leinwand mit Tendenz zu großen Formaten wird mit ihr unregelmäßig überzogen, um auf dieser farbigen Grundfläche Schicht für Schicht weiter aufzubauen. Gepinselte und gespachtelte Farbflächen, überlagernde Gitterstrukturen, schwarz-weiße Versatzstücke im Siebdruckverfahren oder die malerische Adaption eines Druckes, eingeritzte Linien, zarte Bleistiftzeichnungen und überblendende geometrische Formen, die aufgesprüht werden, generieren ein Ganzes. Wobei mit dieser Aufzählung die künstlerischen Mittel längst nicht erschöpft sind. Als ein weiteres lässt sich der Aspekt des Prozesshaften in der Malpraxis ausmachen. Die Erforschung der Dynamik des Materials wird experimentierfreudig mit einbezogen. Gleich eines Alchemisten wird Neues mit Vertrautem in immer anderen Zusammensetzungen erprobt um nicht zuletzt zu überraschenden Ergebnissen zu kommen. Einen klassischen Aufbau nach dem Schema Vorder-, Mittel-, Hintergrund gibt es nicht. Typisch hierfür sind die häufig wiederkehrenden Überlagerungen, die in ihrer Transparenz Tieferliegendes freigeben und die wiederkehrenden ornamentalen Muster.
Es ist ein schneller Gestaltungsvorgang, dem sich Dieter Nusbaum hingibt und in dem die Reflexion nie die Intuition überlagert. Der Raum für malerische Spontaneität ist stets geweitet. In den Bildern scheinen Farbe und Form um die Vorherrschaft zu ringen, wodurch sie wie energiegeladen wirken. Dieses Streben nach Reichtum und Bewegtheit lässt uns im weitesten Sinne an die Methoden der Malerei des Barocks denken. Übrigens ein Stichwort, welches der Künstler selber ins Spiel bringt, indem er eine seiner Arbeiten direkt im Bild mit den Worten „London Barock" betitelt. Und auch in dieser Arbeit finden wir das Stilmittel des Ornamentalen und der bewegten dynamischen Komposition, die das Barock so bestimmen. Dieter Nusbaum - ein Künstler auf den Spuren des Barocks? Eine Fragestellung, die hier nicht strapaziert werden soll, sondern vielmehr darauf hinweist, wie souverän sich der Künstler unterschiedlichste Methoden aneignet, um in der Anwendung und Umformulierung ein höchst eigenständiges Ganzes zu erschaffen.
Zu der Aneignung der Methoden, die eine künstlerische Auseinandersetzung impliziert, zählt bei Dieter Nusbaum ganz stilbildend die Verwendung des Zitates als inhaltlicher Bedeutungsträger. Dabei geht es nie um bloßes Kopieren von Vorlagen, vielmehr ermöglicht das Zitieren eine Positionierung in dem die eigene bildnerische Formulierung sich von der Vorlage abgrenzt. Der kreative Prozess setzt dann ein, wenn das Vertraute als fremd zu betrachten ist und sich als Bruch unserer tradierten Sehgewohnheiten präsentiert.
Das Phänomen des Zitierens findet in der Geschichte der Kunst schon lange Verwendung. Man denke nur an Marcel Duchamps Mona Lisa, deren Lächeln ein Schnurrbart krönte, um nur einen Künstler aus dem Umfeld des Dadaismus zu nennen, die auch häufig in ihren Bildcollagen Zitate aus der Presse einfließen ließen. Geradezu zum Markenzeichen wurde das Zitat in der Pop-Art der 60er Jahren. Besonders kennzeichnend wurde hier die Nivellierung der heran gezogenen Themen, so wurden Motive der Massenmedien und Alltagskultur gleichwertig zu den Themen der Kunstgeschichte formuliert. Ihr schillerndster Akteur, Andy Warhol, definierte mit seinen Siebdrucken von Marilyn Monroe und Wolfgang Goethe die Wertigkeit des Trivialen und das Triviale im vermeintlich Erhabenen neu. Neben den kraftvollen Farben teilt Dieter Nusbaum zunächst die Verwendung des Siebdrucks mit den Stilmitteln der Pop-Art; doch entwickelt sich der Künstler fort von der druckgrafischen Vorlage und sucht zunehmend die malerisch manuelle Umsetzung mit dem Pinsel, die die Ästhetik der Grafik auf den ersten Blick gekonnt vortäuscht. Dieter Nusbaum geht hiermit einen Schritt weiter in der Aneignung der Vorlagen. Als logische Weiterentwicklung dient in diesem Zusammenhang das Zitieren von anderen grafischen Techniken, wie dem historischen Holzschnitt, welcher ebenfalls mit dem Pinsel auf der Leinwand übertragen, in seinen oft extremen Vergrößerungen, zu einem völlig neuen, eigenen Ausdruck findet. Alle Zitate werden gleichsam überführt, losgelöst aus dem alten Kontext und in des Künstlers Bilduniversum neu positioniert. Selbstbewusst setzt Dieter Nusbaum auf die Eigenständigkeit seiner Bildsprache, in die das Zitat homogen eingebunden ist.Die Nebeneinanderstellung von trivialen und erhabenen Bildmotiven erzeugt an einigen Stellen im Werk von Dieter Nusbaum einen Humor, der mitunter ironisch eingefärbt ist, wie etwa an der Arbeit „Bremer Stadtmusikanten" zu überprüfen ist. In Erwartung der üblichen Protagonisten überraschen uns Hirsch, Schwein, Papagei und Mädchen. In anderen Arbeiten birgt bereits die Motivauswahl den humoristischen Ansatz, wie zum Beispiel die Arbeit „Zwei Esel", die sich auf eine Erzählung von J.P. Hebel bezieht, in der nach den tatsächlichen Eseln gefragt wird, trägt doch letztendlich der Mensch das Tier. Humor ist kein durchgängiges Kennzeichen der Arbeiten Dieter Nusbaums, aber ein häufig wiederkehrendes, welches bei aller Ernsthaftigkeit in der malerischen Umsetzung den Betrachter ein Hinterfragen der vorgegebenen Realitäten erlaubt. Gleichzeitig ermöglicht der Humor mit der ihm immanenten Distanzierung zur Vorlage eine klare Positionierung des Künstlers im gesellschaftlichen und künstlerischen Kontext. Ebenfalls humorvoll, doch bereits vor nahezu hundert Jahren, definierte der Schriftsteller und Kritiker Karl Kraus das Künstlertum: „In der Kunst kommt es nicht darauf an, dass man Eier und Fett nimmt, sondern das man Feuer und Pfanne hat" Und in der Tat ist es das Feuer, die spürbare Leidenschaft des Künstlers und die gekonnte Anwendung der malerischen Mittel, mit denen uns Dieter Nusbaum einen Kunstgenuss von höchster Qualität serviert.
Magrit ten Hoevel, Kunsthistorikerin