ausstellungen
Traumstadt
Öl auf Leinwand, 180 x 135cm
Gerd Lieder:
Der Verspiegler
18.04.2015 - 29.07.2015
Das erste „Bild” in der Geschichte der Menschheit war eine Spiegelung - in einer Pfütze, einem stillen See oder einem Wasserloch. Und die Spiegelung eines darüber gebeugten frühzeitlichen Gesichtes dürfte ganz wesentlich zur Bewusstwerdung des Menschen beigetragen haben: Die selbst vollführten Bewegungen und Grimassen gibt auch das Spiegelbild wieder - also muss ich das sein, was mich da ansieht. Nicht „Cogito, ergo sum” ist der Schlüsselsatz, sondern „Video, ergo sum” - ich sehe (mich), also bin ich.
Gerd Lieder entdeckt (und verschlüsselt) die Welt in Spiegelungen und greift damit auf einen der wohl „archaischsten” Erkenntnisprozesse zurück. Gleichzeitig vermittelt er uns in jedem einzelnen seiner - notwendigerweise - perfekt gemalten Bilder einen einmaligen, nicht wiederholbaren Ausschnitt der Wirklichkeit, denn nichts ist flüchtiger als eine Spiegelung. Nur die Kamera - neben den Rotmarderpinseln Lieders wichtigstes Handwerkszeug - vermag sie festzuhalten. Nie wird jemand von uns in der Realität genau das sehen, was uns Gerd Lieder in seinen Bildern zeigt - und doch bildet er Wirklichkeit ab. Gleichzeitig sind Lieders Arbeiten gefrorene Zeit, Abbilder eines Sekundenbruchteils, der so nie wiederkehren wird. Er bietet uns - und darin liegt das Hintersinnige seiner Malerei - eine Wahrheit an, die nicht überprüfbar ist. Damit beinhalten diese malerischen Deklarationen auch eine spielerische Provokation: Es sieht wahrscheinlich so aus - aber war es so? Und es dürfte Gerd Lieder gelegentlich klammheimliches Vergnügen bereiten, dass nur er es weiß und wissen kann. Eine Realität, die in der Welt existiert und dennoch nur einem Einzigen gehört ...
Nicht genug damit, spielt Gerd Lieder noch in anderer Hinsicht mit dem Realitätsverständnis des Betrachters: Seine Bilder sind gleichsam Verschlüsselungen der Realität, die unsere Wahrnehmungsfähigkeit gelegentlich sehr auf die Probe stellen. Was ist das, was da gespiegelt wird? Dabei bespielt Lieder das gesamte Spektrum von „klar erkennbar” bis „keine Chance ...”. So reflektieren seine Folienspiegelungen zwar häufig reale Gegen- stände, deren Erkennbarkeit aber geht gegen Null. Auch dies wieder eine hintersinnige Volte: ein fotorealistisches Gemälde, auf dem die Realität nicht zu erkennen ist. Und wieder ist es nur Gerd Lieder, der die Wahrheit kennt ... In anderen Bildern wird der Betrachter gezwungen, sehr genau hinzusehen, wie so etwa bei vielen Architekturgemälden, die auf den ersten Blick - wie zahlreiche Bilder Lieders - wie Abstraktionen wirken, sich dann aber doch (und sei es mit Hilfe des Titels) entschlüsseln lassen, etwa „Über den Rhein” oder „Moschee”. Das Kippen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion ist eine weitere typische Eigenart der Werke Lieders. In einer Ausstellung seiner Bilder erschließt sich eine Vorgehensweise, weil immer mehrere Varianten von Realitätsdarstellung korrelieren. Nähme man aber das eine oder andere Bild aus dem Kontext und zeigte es ohne nähere Erklärung alleine, so sähe eine Reihe von Betrachtern es sicherlich als abstrakte Malerei an. Noch ein Kunstgriff also: Fotorealistische Malerei in Perfektion, die als abstraktes Bild rezipiert wird oder werden kann. Ich werde den Verdacht nicht los: Der Mann spielt nicht nur mit Realitäten, sondern auch mit den Betrachtern.
Nicht übersehen sollte man in Lieders Arbeiten die psychologischen Implikationen - allem voran die Tatsache, dass jemand, der sich die Welt in Spiegelungen betrachtet, den direkten Blickkontakt vermeidet und dieser Welt den Rücken zuwendet. So verweigert sich der Künstler der aktiven Teilnahme und schildert Phänomene und Ereignisse als optisches Spektakel. Wer Lieders Werke kennt, der weiß auch um die vielen Arbeiten, die Einsamkeit, Melancholie, Sehnsucht „widerspiegeln” - etwa „Abschied” (1999), „Tod in Venedig” (1999), „Sehnsucht” (2004), „Sonnensucher” (2005), „Herbstsonate” (2004), um nur einige zu nennen. Gerd Lieders Leben kreist um seine - besessene - Arbeit und um seine Familie. Auch dies tut er kund, wenn er eines der liebevollen Porträts seiner Frau Chris doppelsinnig mit „Lichtblick” (2005) bezeichnet oder in „Kopf an Kopf” (2004) in der Spiegelung eine tatsächliche Verschmelzung erreicht. Man kann also in Lieders Arbeiten nicht nur etwas über Realitäten erfahren, sondern auch über den Künstler.
Dieser Künstler geht erfreulicherweise unbeirrt seinen Weg - und da er zudem ernorm diszipliniert und fleißig ist, kann er bereits auf ein umfangreiches OEuvre verweisen. Dabei ist es erstaunlich, wie viele Aspekte Gerd Lieder dem Thema „Spiegelungen” abgewinnt. Stilleben, Porträt, Akt, Landschaft, Architekturmalerei - nahezu alle Genres der darstellenden Malerei lassen sich bei ihm finden. Mit welchem Sujet auch immer Gerd Lieder sich befasst - das Ergebnis ist hochästhetisch und handwerklich brillant: konzeptionelle Malerei vom Feinsten.